Wörterbuch der Theaterpädagogik (erschienen 2003)

Zunftswerkstatt

Eine Z ist ein Problemlösungsverfahren, das davon ausgeht, dass in jedem Menschen Kräfte stecken, seine Zukunft  aktiv  mitzugestalten,  wenn  nur  Chancen dafür geboten werden (vgl. Jungk 1997). Seinen Ursprung hat dieses Verfahren in den 1950er/60er Jahren, in denen sozial engagierte Humanisten und Zukunftsforscher die einseitige Vereinnahmung der Zukunftsgestaltung durch Wirtschaft und Industrie, Militär und Staat, Parteien und nicht immer demokratisch legitimierten Regierungen kritisierten. Unter dem Leitmotiv der Beteiligungsorientierung vieler Menschen wurde nach neuen Formen der Mitgestaltung und Demokratisierung der Zukunft gesucht. Robert Jungk (1913–1994) entwickelte maßgeblich eine experimentelle Problemlösungsmethode, die heute unter dem Namen Z bekannt ist. Jungk – der in einer Schauspielerfamilie aufwuchs, sich im Exil befand und kritischer Publizist und Korrespondent verschiedener Zeitungen und Hochschullehrer war – hatte das Anliegen, durch die Z mit ihren partizipativen, kreativitätsfördernden und spielerischen Elementen möglichst viele Menschen zum Mitgestalten und -entscheiden zu bewegen und so direkten Einfluss auf die Bedingungen ihrer Lebens- und Arbeitsumwelt zu nehmen. Z sind Zusammenkünfte mehrerer Menschen, die in einem offenen, von der Gruppe getragenen Prozess durch methodisch kreative Arbeit zielgerichtet die Lösung von Problemen anstreben. Über das konkrete Thema einer Z entscheidet die Gruppe. In ihrem Ablauf sind Z von verschiedenen Merkmalen geprägt, die ihre unmittelbaren Auswirkungen auf die Beteiligten haben: Sie sind basisdemokratisch, integrativ, kommunikativ, ganzheitlich, kreativ und motivierend (vgl. Weinbrenner; Kuhnt u. a.). Sie verbinden punktuelle Konzentration und den weiten Blick. Z sind partizipativ innerhalb des jeweiligen Werkstattgeschehens wie auch in ihrer Wirkung nach außen, in dem die Werkstattmitglieder sich aktiv an der Gestaltung ihres Lebensumfeldes beteiligen. Die Z kennt keine Begrenzungen auf bestimmte Themen, Fragestellungen, Ziel – oder Altersgruppen.

Trotz der thematischen Offenheit und der teilnehmerbezogenen Flexibilität ist die Z als eigenständige Methode durch ein formales Strukturmodell bestimmt. Die Werkstattarbeit gliedert sich in drei aufeinanderfolgende Phasen, die in Vor- und Nachbereitungstätigkeiten eingebettet sind: die Beschwerde- und Kritikphase, die Phantasie- und Utopiephase und die Verwirklichungsund Praxisphase (vgl. Jungk u. a.). In der Beschwerdeund Kritikphase vergegenwärtigt sich die Werkstattgruppe themenbezogen ihre Befürchtungen und Beschwerden. Durch das Zusammentragen negativer Erfahrungen, problematischer Situationen  und  unterschwelliger  Schwierigkeiten   werden möglichst präzise Kritikpunkte und Störfaktoren formuliert und somit eine kritische Bestandsaufnahme durchgeführt. Um die Kritikphase und somit die realen Begrenzungen sowie rationelles Vorgehen hinter sich lassen zu können, werden zur Einstimmung in die Phantasie- und Utopiephase verschiedene themenunabhängige Übungen durchgeführt, die die Kreativität, Phantasie und → Sinnlichkeit der Beteiligten sowie das Abweichen von Normierungen fördern. Im Mittelpunkt dieser Phase stehen Wünsche, Alternativen, Visionen, Träume, Einfälle und die Entwicklung von Ideen, die zwar auf die Kritikpunkte reagieren, diese aber möglichst weit hinter sich lassen. Ohne Rücksicht auf Gesetze, Vorschriften oder andere Zwänge werden Lösungen entwickelt und Auswege erfunden: Der Kreativität  und  der → Phantasie  sind  keine  Grenzen gesetzt. Während die erste Phase die kognitive und die zweite Phase die emotional-kreative Dimension zur Grundlage hat, verlangt die Verwirklichungs- und Praxisphase eine strategische und planerische Vorgehensweise (vgl. Koch). Das Entdecken von Veränderungsmöglichkeiten durch die teilnehmenden Subjekte, um so Einfluss auf die Gestaltung der Zukunft nehmen zu können, steht hier im Vordergrund: Die UtopieEntwürfe werden mit den realen Verhältnissen zusammengebracht und auf ihre Durchsetzungschancen hin überprüft. Das Sammeln von Strategien und die Benennung von erforderlichen Rahmenbedingungen für die Umsetzung einer Ideenskizze bilden die ersten Schritte. Zielgerichtet wird darauf aufbauend ein Projektplan erstellt, der die Verwirklichung dieser Idee ermöglicht und Verantwortlichkeiten für die Weiterarbeit festhält.

Das beschriebene Strukturmodell der Z ermöglicht in deren Verlauf die Anwendung vielfältiger Methoden, die die kognitiven und kreativen Fähigkeiten der Beteiligten ansprechen, stärken und erfahrungs- und körperorientiert sind, wie z. B.→ Rollenspiele,→ Pantomime, szenisches Darstellen, Malerei, Gedicht, Hörspiel,→ Märchen u. a. m.

Baer, Ulrich: 666 Spiele. Für jede Gruppe. Für alle Situationen. Seelze 1999; Jungk, Robert: Die Zukunft spielend erproben. Über Kriegsspiele, Revolutionsspiele und das Theater als prognostische Anstalt. In: Schulte, Hansgerd (Hg.): Spiele und Vorspiele. Frankfurt a. M. 1978; Ders./ Müllert, Norbert R.: Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen Routine und Resignation. München 1997; Koch, Gerd: Die Methode ,Zukunftswerkstatt‘ in der Sozialpädagogik. Berlin 1999; Kuhnt, Beate/Müllert, Norbert R.: Moderationsfibel Zukunftswerkstätten: verstehen – anleiten. Das Praxisbuch zur sozialen Problemlösungs-methode Zukunftswerkstatt. Münster 1996; Marx, Rita/ Saliger, Susanne: Die Methode ,Zukunftswerkstatt‘ in der Gewaltprävention an Schulen. Dokumentationen mehrtägiger Veranstaltungen mit Jugendlichen. Potsdam 2001; Saliger, Susanne: Was sind Zukunftswerkstätten? In: Amt für Jugendarbeit im Evangelischen Kirchenkreis Spandau und Luther-Gemeinde Spandau (Hg.): Zukunftswerkstätten für Jugendliche. Berlin 2001; Steiner Spielekartei. Elemente zur Entfaltung von Kreativität, Spiel und schöpferischer Arbeit in Gruppen. Münster 1994; Weinbrenner, Peter: Zukunftswerkstatt. In: Mickel, Wolfgang W. (Hg.): Handbuch zur politischen Bildung, Schwalbach/Ts. 1999.

www.jungk-bibliothek.at [14.02.2002].

SUSANNE SALIGER

Didaktik – Forumtheater – Projekt – Theater der Unterdrückten – Übungsfirma – Unternehmenstheater – Werkstatt – Zielgruppe