Wörterbuch der Theaterpädagogik (erschienen 2003)

Werkstatt

Seit dem Mittelhochdeutschen wird W zur Bezeichnung der „Arbeitsstätte zuerst der Handwerker, (Fabrik)arbeiter und bildenden Künstler“, später in Übertragung des Begriffes für „alle möglichen Stätten schöpferischen Wirkens“ verwendet (vgl. auch die Wortverwandtschaft mit „officia, laboratorium, fabrica, artificina“, Grimm 395f.). Die Übertragung hat dazu geführt, dass besonders in der Pädagogik der W-Begriff auch noch von seinem lokalen Bezug abgelöst und auf die Prozesse des ,schöpferischen Wirkens‘ selbst angewendet wird. Für die Thp sind beide aktive Begriffsverwendungen relevant, weil sich Bedeutungsbereiche teilweise überschneiden.

In der lokalen Bedeutung werden kleinere Spielstätten innerhalb und außerhalb des Systems der Stadttheater als Theater-W bezeichnet, z.B. ,Schillertheater Werkstatt‘ oder ,Theaterwerkstatt Heidelberg‘. In der methodischen Bedeutung sind zwei Stränge der Verwendung des W-Begriffs zu beobachten. Der erste – heute oft engl. workshop – leitet sich her aus den „freien Schauspiel-, Atem-, Bewegungskurse(n) seit der Jahrhundertwende“ (Nickel 1108) und bezeichnet im engeren Sinne eine pädagogisch orientierte Veranstaltung, in der verschiedene Fertigkeiten des Theater(s)/ -handwerks in meist praktischen Übungen erworben werden. Da die Thp bisher über kaum institutionalisierte Ausbildungsgänge verfügt, ist die W hier eine verbreitete Form der Aus- und Weiterbildung (vgl. ebd.). Im weiteren Sinne versteht man unter W auch „eine der gegenwärtigen Freizeitgesellschaft entsprechende Form der kreativen Eigentätigkeit und erfahrungsbestimmten Lernens (von Handwerk, Kunst und Selbsterfahrung über Hobbyurlaub und Unterhaltung)“ (ebd.).

Der andere Strang steht in Zusammenhang mit Entwicklungen der → Reformpädagogik und der politischen Bildung nach 1945. Hier wird W definiert als „eine an pädagogisch-psychologischen Methoden orientierte Veranstaltungsform, die als Gegenentwurf zu referentenorientiertem Lehren, Lernen und Arbeiten versucht, über die aktive Beteiligung ihrer Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Erarbeitung einer Thematik die Ergebnisse in konkretes betriebliches, (gesellschafts-)politisches, pädagogisches usw. Handeln umzusetzen“ (Pallasch u.a. 14). Die verbreitetsten Formen dieser W sind die ,Lernstatt‘, die > ,Zukunftswerkstatt‘ und die ,Lernwerkstatt‘ (ebd.). Das Konzept von W in diesem Sinne steht in engem Zusammenhang zu denen des Projekts, des handlungs- bzw. erfahrungsorientierten Lernens oder auch des problem-based-learning und enquiry-action-learning, wie sie in jüngster Zeit in Amerika entwickelt wurden, orientiert sich aber stärker als jene an konkreten (räumlich, zeitlich und methodisch) umgrenzten Veranstaltungsformen.

Aus dem Prinzip des handlungs- und erfahrungsorientierten Lernens in der W sowie den Überschneidungen von Theater als Kunstform und ,Theater als kulturellem Modell‘ (vgl. Fischer-Lichte) ergeben sich innerhalb der W-Arbeit Anwendungsmöglichkeiten für thp Methoden. Diese umfassen spielpädagogische Interventionen zur Unterstützung des sozialen Lernens (z. B. zur Gruppenbildung und -evaluation); Wahrnehmungsübungen und Verfremdungstechniken in der Auseinandersetzung mit bestimmten Themen und Gegenständen; Möglichkeiten der Untersuchung derselben mit Hilfe verschiedener Formen der Simulation und des → Rollenspiels sowie Verfahren, mittels derer die Arbeitsergebnisse der W (als interaktive Prozesse) für ein Publikum inszeniert werden können (vgl. Seitz).

Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Bearb. v. der Arbeitsstelle des Deutschen Wörterbuches, Bd. 29 Berlin, München 1991; Fischer-Lichte, Erika (Hg.): Theatralität und die Krisen der Repräsentation. Stuttgart, Weimar 2001; Nickel, Hans-Wolfgang: Werkstatt. In: Brauneck, Manfred/Schneilin, Gérard (Hg.): Theaterlexikon. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles. Reinbek 1992; Pallasch, Waldemar/Reimers, Heino: Pädagogische Werkstattarbeit. Eine pädagogisch-didaktische Konzeption zur Belebung der traditionellen Lernkultur. Weinheim, München 1990; Seitz, Hanne: ,Wer zum Teufel ist …‘. Von Falschspielern und inszenierten Wirklichkeiten. In: Kunst und Unterricht, 1998, H. 223/224. http://www.chemeng.mcmaster.ca/pbl/pbl.htm [zum problem-based-learning]; http://www.mcmaster.ca/learning/ inquiry/inquiry1.htm [zum enquiry-Ansatz].

UTE PINKERT

Fort- und Weiterbildung für LehrerInnen – Gruppe – Interaktion – Off-Theater – Theaterarbeit aus