Wörterbuch der Theaterpädagogik (erschienen 2003)

Jugendbegegnungen

Seit der Gründung der BRD konstituiert sich ein großer Teil der pädagogischen Arbeit im Bereich der internationalen J durch staatliche Fördermittel. Es gibt nur wenige Veranstaltungen, die nicht durch das jeweilige Jugendwerk, Mittel aus dem Kinder- und Jugendplan des Bundes, EU-Sonderprogramme oder andere öffentliche Mittel finanziert werden. Bereits seit dem Bundesjugendplan von 1950 ist dabei für die Vergabe staatlicher Gelder das Subsidiaritätsprinzip (Nachrangigkeit) bestimmend. Der Staat tritt vordergründig nicht selbst tätig in Erscheinung, sondern nur als Förderer und Wächter. Es gibt zwar gerade in diesem Bereich auch staatliche Aktivitäten, v. a. auf kommunaler Ebene. Diese treten aber in den letzten Jahren zunehmend in den Hintergrund. Die eigentlichen Akteure sind innerhalb dieser Diktion die kirchlichen, gewerkschaftlichen und in der Praxis vor allem viele kleine freie Träger.

Von Anfang an gilt, dass die Förderung Instrument der Politik ist. Exemplarisch zeigt das die Gründung des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW): In der gemeinsam Erklärung von Adenauer und de Gaulle zum Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit vom 22. Januar 1963 steht, „dass insbesondere die Jugend sich dieser [der deutsch-französischen, Vf.] Solidarität bewusst geworden ist, und dass ihr eine besondere Rolle bei der Festigung der deutschfranzösischen Freundschaft zukommt“ (DFJW 8). Das DFJW ist heute zu einer auch inhaltlich bestimmenden Institution im Bereich des Internationalen Jugendaustausches geworden. Das liegt nicht zuletzt an der durch einen bilateralen Fonds gespeisten finanziellen Ausstattung, die auch zeigt, welche Bedeutung die beiden Regierungen dem Jugendaustausch zumindest bis in die 1980er Jahre beimessen.

In den 1990er Jahren verstärkt sich eine Tendenz der Rücknahme von Mitteln im pädagogischen Bereich. Charakteristisch ist dabei, dass vor allem die Regelfinanzierung, besonders von Personalstellen, gekürzt wird. Gleichzeitig gibt es eine Zunahme von kurz- und mittelfristigen Sonderprogrammen auf EU-, Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene. Mittlerweile ist die Zahl dieser Programme kaum noch überschaubar; Civitas, Entimon, !respect, Xenos sind dafür nur einige Beispiele. Für die Politik sind solche Programme attraktiv, da sie den Eindruck schneller Handlungsfähigkeit vermitteln. Für diejenigen, die ein Projekt ins Leben rufen wollen, hat das weitreichende Folgen: Nicht nur der Zeitaufwand, der mit der Bearbeitung der Anträge und deren Abrechnung verbunden ist, sondern vor allem ein erheblicher Rechtfertigungszwang sind zu registrieren. Förderkriterien, die eher politisch als pädagogisch begründet sind, müssen erfüllt werden, Experimente und Scheitern sind kaum noch zulässig. Gerade das ,Scheitern‘ ist aber ein zentraler Begriff in der interkulturellen Pädagogik: „Was als ‚Scheitern‘ interpretiert werden müsste, kann bedeuten, dass Prozesse angestoßen worden sind, in denen es zentral um Interkulturelles geht.“ (Nicklas 32) Auch das Gebot der Abgrenzung vom Tourismus, das nahezu dogmatisch in den Förderbedingungen wiederholt wird, führt eher dazu, dass die offenen, spontanen Anteile einer J in der pädagogischen Vor- und Nachbereitung verschwiegen oder bewusst fehlinterpretiert werden.

„Interkulturelle Kompetenz besteht nicht nur aus Wissen, sondern auch aus Persönlichkeitsmerkmalen, wie Empathie, die Fähigkeit, zeitlich parallel auftretende unterschiedliche Erwartungen auszuhalten (Ambiguitätstoleranz), Offenheit, Kommunikationsfähigkeit in unterschiedlichen Settings, Flexibilität im Umgang mit Rollen, Stresstoleranz, Konfliktfähigkeit, Kreativität bei Konfliktlösungsversuchen.“ (Friesenhahn 35) Dieses Zitat erschließt, warum die ThP für den Internationalen Jugendaustausch eine so große Rolle spielt. Wenn es darum geht, nicht Informationen zu vermitteln, sondern interkulturelle Kompetenz als Persönlichkeitsmerkmal zu entwickeln, ist die ThP neben der Spielpädagogik in J eine Methode von zentraler Bedeutung.

Das Spektrum reicht von spezifisch thp Begegnungen bis hin zur Übernahme einzelner Elemente und Methoden der ThP in den Kontext der interkulturellen Pädagogik. Aus dieser Zusammenarbeit ergibt sich eine Reihe interessanter Fragen, von denen es hier um die nach der Diskrepanz zwischen den Ansprüchen, die von außen an solche Projekte herangetragen werden, und der Praxis und ihren Möglichkeiten  geht.

Zum wichtigsten Arbeitsmittel bei der Finanzierung von Jugend- und Kulturprojekten hat sich das Internet entwickelt. Allerdings wechseln die Adressen und die Angebote sehr schnell. Als zuverlässige Informationsquellen haben sich folgende Seiten erwiesen: www.dfjw.org (DFJW); www.dpjw.org (Deutsch-Polnisches Jugendwerk); www.tandem.org (Koordinierungsstelle für den Deutsch-Tschechischen Jugendaustausch); www.ijab.de (Internationaler Jugendaustauschund Besucherdienst der Bundesrepublik. Hier geht es u. a. weiter zu den Seiten von Jugend für Europa, dem Informationsserver Eurodesk sowie DIJA [Datenbank für Internationale Jugendarbeit] mit ausführlichen Informationen über Fördermöglichkeiten.). Auf den Bereich Jugend bzw. Kultur zugeschnitten sind die Datenbanken Financial Pool Jugend und Financial Pool Kultur (auf CD-ROM zu beziehen über die Stiftung Demokratische Jugend, Infoservice: www.infoservice-nbl.de).

Die Fähigkeit, Förderprogramme zu finden, zu lesen und zu nutzen, gehört mittlerweile zu den Schlüsselqualifikationen in der internationalen Jugendarbeit. Abgesehen davon, dass sich ein ganzer Berufsstand um diesen Bereich gebildet hat, bis hin zum freiberuflichen EU-Mittel-Berater, stellt sich hier die Frage der Wechselwirkung zwischen Inhalt, Form, Zielen und Methoden eines Projektes einerseits und den Förderkriterien andererseits.

Die Förderkriterien legen pädagogische Formen fest, die als Begegnung definiert und als förderungswürdig eingestuft werden. „Nur bestimmte Maßnahmetypen erhalten eine finanzielle Förderung, wodurch eine für die internationale Jugendarbeit typische Abhängigkeit der finanziellen Förderung von bestimmten ‚pädagogisch-organisatorischen Settings‘ entsteht. […] Eine solche Einengung, so die Kritiker, verhindert Innovation in konzeptioneller und institutioneller Hinsicht und muss mit Hinblick auf die Ergebnisse der Jugendforschung und Jugendpädagogik als obsolet bezeichnet werden.“ (Thimmel  62)

So entsteht der Zwang, auch J mit kultureller, offenerer Ausrichtung inhaltlich aufzuladen: mit Bezug auf harte Themen wie Arbeitslosigkeit, Diskriminierung, europäische Integration. Das Verhältnis zwischen der ThP und der interkulturellen Jugendarbeit war nie spannungsfrei, es gab immer Vorwürfe der politischen Beliebigkeit, Sinnlosigkeit und der Orientierung an bildungsbürgerlichen Werten. Die derzeitige Fördersituation verstärkt diesen Konflikt: Die Bereitschaft, sich auf ein Risiko einzulassen, sinkt sowohl bei den Verantwortlichen als auch bei den in der internationalen Jugendarbeit tätigen Pädagogen. Aber internationale J und ThP haben eines gemeinsam: Sie sind immer ein Experiment, ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang abseits ausgetretener Pfade. Das ist kein Mangel, sondern eine Qualität.

Bundesverband Deutscher Stiftungen e. V. (Hg.): Verzeichnis der Deutschen Stiftungen. Neuausgabe. Darmstadt 1994; Deutsch-Französisches Jugendwerk (Hg.): Abkommen. Paris, Bad Honnef 1998; Die Eine Welt e. V.: Treffpunkt Eine Welt. Berlin [erscheint jährlich, Bezug: 030/858 95 03]; Friesenhahn, Günter J.: Suchbewegungen. Soziale Arbeit und Internationalität. In: Sozialarbeit, 1995, H. 21; Internationaler Jugendaustausch- und Besucherdienst der Bundesrepublik Deutschland (IJAB) e. V. (Hg.): Forum Jugendarbeit International 2002. Qualitätsentwicklung in der Internationalen Jugendarbeit. Münster 2001; Kurz, Steffen: Die Organisation von internationalen Jugendbewegungen. Ein Leitfaden. Diplomarbeit an der Alice-Salomon-Fachhochschule. Berlin 1999; Müller, Burkhard/Pagès, Max: Existentielle Animation. Gedanken (nicht nur) zur Neuorientierung internationaler Jugendbegegnungen. In: Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (Hg.): Friedensanalysen für Theorie und Praxis 10. Schwerpunkt: Bildungsarbeit. Frankfurt a. M. 1979; Nicklas, Hans: Scheitern und Gelingen. Zur Spezifität interkultureller Lernprozesse und ihrer Folgen für die Evaluation. In: Deutsch-Französisches Jugendwerk (Hg.): Evaluation internationaler Begegnungen. Arbeitstexte Nr. 12. Bad Honnef 1996; Otten, Hendrik/Treuheit, Werner (Hg.): Interkulturelles Lernen in Theorie und Praxis. Ein Handbuch für Jugendarbeit und Weiterbildung. Opladen 1994; Stiftung Demokratische Jugend (Hg.): Financial Pool Jugend. Die Datenbank zum Finanzierungswissen für Jugendarbeit. Berlin 2001; Dies.: Financial Pool Kultur. Fundraisinginstrument für die Kulturarbeit. Berlin 2001; Thimmel, Andreas: Pädagogik der Internationalen Jugendarbeit. Geschichte, Praxis und Konzepte des Interkulturellen Lernens. Schwalbach/Ts. 2001.

STEFFEN KURZ

Erlebnispädagogik – Zielgruppe