Wörterbuch der Theaterpädagogik (erschienen 2003)

Feldenkrais-Methode

Die F-M, benannt nach dem russisch-israelischen Physiker, Ingenieur und Judo-Lehrer Dr. Moshé Feldenkrais  (1904–1984),  nutzt  Mittel  ökonomischer Bewegung und verfeinerter Körperwahrnehmung, um als Lernstrategie in pädagogischen, therapeutischen, künstlerischen, sozialen und thp Bereichen wirksam zu werden. Entwicklungsphysiologisch beruht „das Prinzip des Selbstkennenlernens […] auf dem Erkennen der Orientierung des Körpers“ (Feldenkrais zit. n. Petzold 181). In seiner empirischen Forschung (zwischen 1940/80 in Frankreich, England, Israel, USA) war die oft negierte „Einheit von Geist und Körper eine konkrete Realität […], ein untrennbares Ganzes. […] Die Kontinuität der Geistesfunktion ,wird‘ durch die entsprechenden motorischen Funktionen gestärkt.“ (ebd. 176)

Bewusstheit und Selbsterziehung schienen ihm unerlässlich, um Selbsterkenntnis, freies Handeln, Reife, Individualität und Kreativität zu entfalten. Drei Dinge hielt er für prägend: Vererbung, Erziehung und Selbsterziehung. Die ersten beiden Komponenten seien vorgegeben, die dritte hänge vom Willen ab. Da Bewegung als Ursprung des Lebens nicht nur motorische Funktionen, sondern Denken und Fühlen begleitet, wählte er das ,organische‘ Lernen, um die Orientierung im Feld der Schwerkraft, die das Kleinkind erwirbt, zu reorganisieren. Bewegungsmuster, durch Angst und Gewohnheit verfestigt, werden durch Umlernen erweitert.

Zwei Techniken werden vermittelt, um „Lernen zu lernen“ (Shelhav-Silberbusch 129), Alternativen zu finden: In verbal angeleiteten Gruppen wird mit Bewegungen, angeregt vom Erbe der Ontound Phylogenese, spielerisch experimentiert. Einzelsitzungen in ,funktionaler Integration‘ nutzen im „,Berühren, Bewegen […], Be-Greifen und Be-Handeln“ (Feldenkrais 1985, 25) die „nicht-verbale Sprache der Hände […]. Kommunikation durch die Sinne erreicht das Unbewußte unmittelbar“ (ebd.). Beide Techniken schulen den kinästhetischen Sinn, verbessern Balance, Koordination, Muskeltonus, Plastizität des Gehirns. Im Gegensatz zu zielstrebigem Lernen gehen „somatopsychische Lernprozesse“ (Steinmüller u.a. 8) mit Erfahrung einher. Sie bewirken „eine Weiterentwicklung der Strukturen und ihres Funktionierens“ (Feldenkrais 1985, 65).

Wesentlich ist die Atmosphäre, in der leichte, fließende Bewegungen selbstständig erprobt werden. Das Wie ist entscheidend. „Eile stiftet Verwirrung“ (ebd. 136), „Zielstrebigkeit führt zu Anstrengung“ (Feldenkrais 1978, 180), „schwächt das Lernen“ (ebd. 1985, 136). Prinzipien der Mechanik und Thermodynamik helfen, die Umkehrbarkeit von Bewegung als wichtigstem Faktor der Ökonomie, dynamische Haltung bewusst zu machen. Differenzieren und Variieren motorischer Fähigkeiten klären das Selbstbild. Für Künstler ist feines Nuancieren essenziell. „Denken, Gefühl, Körper – in vollkommener Harmonie“ (Brook 29) sind unerlässlich, „um alles zu entfernen, was nicht […] notwendig ist“ (ebd. 20). Feldenkrais scheint für ThP und -studenten wie ,erfunden‘ (vgl. Steinmüller u.a. 190 f.), um Programmierungen in Bewegungsgewohnheiten zu „‚dekodieren‘ und zu ‚neutralisieren‘. [Der Schauspieler, d. Vfn.] lernt, nicht das Was zu ändern, sondern das Wie. Das erfordert das höchste Maß an Bewusstheit.“ (ebd.)

Brook, Peter: Das offene Geheimnis. Gedanken über Schauspielerei und Theater. Frankfurt a. M. 1998; Feldenkrais, Moshé: Bewußtheit durch Bewegung. Frankfurt a. M.1978; Ders.: Abenteuer im Dschungel des Gehirns. Frankfurt a. M. 1981; Ders.: Die Entdeckung des Selbstverständlichen. Frankfurt a. M. 1985; Petzold, Hilarion: Psychotherapie und Körperdynamik. Paderborn 1979; Shelhav-Silberbusch, Chava: Bewegung und Lernen. Die Feldenkrais-Methode als Lernmodell. Dortmund 1999; Steinmüller, Wolfgang u. a. (Hg.): Gesundheit – Lernen – Kreativität. Bern  2001.

IRENE SIEBEN

Bewegungserziehung  –  Contact  Improvisation  – Körpersprache – Körperund Bewegungsstudium – Leiblichkeit