Wörterbuch der Theaterpädagogik (erschienen 2003)

Playback Theatre

1975 gründete Jonathan Fox gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Jo Salas in New Paltz (New York, USA) die erste Truppe Playback Theatre – eine Form des Improvisationstheaters, bei dem persönliche Erfahrungen und erlebte Geschichten erzählt, dann aus dem Stegreif szenisch umgesetzt und zurückgespielt werden (,played back‘). Ziel ist, den zwischenmenschlichen Dialog zu fördern und Menschen dadurch in Verbindung zu bringen. Zunächst in den USA, dann in Australien und Neuseeland weiterentwickelt, wird PT inzwischen weltweit praktiziert. 1988 wurde es von Fox im deutschsprachigen Raum eingeführt; zuerst in Schaffhausen (Schweiz) auf Einladung von Annette Henne (Gründerin PT Schweiz), 1991 entstand in der BRD die erste Truppe mit dem PT Köln (Gründerin Marlies Arping). Die sprunghafte Entwicklung der deutschsprachigen Bewegung ist im Internet zu verfolgen (www.playbacktheater.de). 1990 wurde mit dem International Playback Theatre Network (IPTN) eine weltweite Möglichkeit zum Austausch geschaffen (www.playbacknet.org). Die Zeitung Interplay dieses internationalen Netzwerkes erscheint mehrsprachig. Seitdem finden abwechselnd in Amerika, Europa und im Pazifikraum regelmäßig internationale Kongresse, seit 1994 auch jährlich eine Tagung der deutschsprachigen Gruppen statt. 1992 gründete Fox die School of Playback Theatre (USA). 1997 wurde auf Initiative von Heinrich Dauber an der Gesamthochschule Kassel das erste internationale Symposium organisiert. Dort wird inzwischen ein Forschungsarchiv betreut (Playbacktheater@unikassel.de).

PT kann in jedem Raum aufgeführt werden. Es gibt eine klare Struktur, in der ausgehend von Stimmungen, kleinen und großen Erlebnissen des Alltags, Geschichten erzählt werden, die für den Einzelnen und die Gemeinschaft bedeutsam sind. Ein Teil des Raumes wird zur Bühne, wo die Spieler dem Publikum gegenüber sitzen. Davor, rechts von der Spielfläche, umgeben von Instrumenten, findet ein Musiker Platz; links stehen zwei Stühle: einer für den Leiter (conductor), der andere für den Erzähler (story teller) aus dem Publikum, der auf strukturierte Fragen des Leiters hin von einem Erlebnis berichtet. Nach dem Interview übergibt der Leiter an die Spieler, die die Geschichte dann mit speziellen dramaturgischen Mitteln aus dem Stegreif so darstellen, dass die Essenz der Erzählung erlebbar wird. Der Erzähler kommentiert danach die entstandene szenische Umsetzung. Weitere Erzähler folgen und die Geschichten verbinden sich zu einem roten Faden (vgl. Fox u. a. 1999b, 9).

PT ist zu einem Mittel sozialer Veränderungen geworden: Menschen, die das Bedürfnis haben, einander zuzuhören, können sich über ihre Erfahrungen austauschen. Damit wird die Vision von einem Theater Wirklichkeit, das der heutigen Gesellschaft etwas von der integrativen sozialen Funktion des Geschichtenerzählens  und  ästhetischer Rituale  früherer  Zeit zurückbringt (vgl. Salas 1998, 9). Beeinflusst u. a. vom Studium oraler Traditionen, vom amerikanischen Experimentaltheater der 1960er Jahre und vomPsychodrama, versteht Fox das PT als Wiederbelebung der vorschriftlichen Tradition des Volkstheaters in der Bildung und Festigung kultureller Gemeinschaften. Dabei gelten folgende Werte: Jeder hat eine erzählenswerte Geschichte und soll damit am sozialen Diskurs teilnehmen können. Jede Gemeinschaft hat eine eigene Weisheit, die aus gemeinsamer kultureller Erfahrung resultiert. Jeder verfügt über eine angeborene Kreativität  mit  der  Fähigkeit  zum  Spiel  und  zur Interaktion. Auf dem Hintergrund positiver Teilhabe in einer akzeptierenden Gemeinschaft kann Veränderung jenseits unmittelbarer Sorgen und Nöte gefördert werden.

Heute findet PT u. a. im Erziehungs- und Sozialwesen, in der Theater- und Kulturarbeit statt, auch als Unternehmenstheater.  Es  wird  zunehmend  zum Instrument der Konfliktbearbeitung in sozialen und gesellschaftlichen Brennpunkten: in Krisengebieten und dort, wo soziale Kommunikation und Partizipation mittels sozial konstruktiver Interaktion wiederhergestellt werden sollen.

Fox, Jonathan: Acts of Service. New Paltz 1994; Ders.: Renaissance einer alten Tradition – Playback Theater. Köln 1996; Fox, Jonathan/Dauber, Heinrich (Hg.): Gathering Voices. New Paltz 1999a; Dies.: Playback Theater. Wo Geschichten sich begegnen. Bad Heilbrunn 1999b; Salas, Jo: Improvising Real life. Iowa 1993; Dies.: Playback-Theater. Berlin 1998.

DANIEL  FELDHENDLER

Erzähltheater – Experiment – Forumtheater – Geschichte der Pädagogik – Geschichte der Sozialpädagogik – Gruppe – Konstruktivismus – Mitspiel(theater) – Narratives Interview – Regenbogen der Wünsche – Rehabilitation