Wörterbuch der Theaterpädagogik (erschienen 2003)

Planspiel

Erfahrungsorientiertes learning by doing, wie es im Spielen stattfindet, und das Grundmodell der Aktionsforschung haben sich in den letzten Jahrzehnten als die erfolgreichste Methode der Wissensvermittlung bewährt. Dieser methodische Ansatz knüpft wie kein anderer an den Bedürfnissen und den Vorkenntnissen der Teilnehmer an. Diese Verfahren holen die Teilnehmer dort ab, wo sie sich tatsächlich befinden.

Es gibt die Mitspieler (Akteure), es gibt Regeln, und es gibt ein Bezugssystem. Diese drei Elemente benötigt ein Spiel, um eine symbolische Welt zu gestalten, in der die Spieler handeln (spielen) können. Schach und ,Monopoly‘ etwa zeigen als Bezugssysteme zwei verschiedene Spielbretter; jedes stellt für sich eine andere Umwelt dar.

Managementplanspiele setzen sich aus den gleichen Elementen zusammen wie Freizeitspiele. Im Bereich der Managementspiele muss man allerdings ergänzen, dass es um die Vermittlung von Managementwissen geht. Je realistischer der Hintergrund und das Bezugssystem eines P gestaltet sind, desto mehr werden sich die Spieler auf positive Art damit beschäftigen, und desto mehr werden sie über den Lerngegenstand lernen. Managementplanspiele verfolgen immer auch diesen weitergehenden Zweck der Vermittlung von Wissen, das später in der Realität auch angewendet werden kann. Zu diesem Zweck müssen Spiele die Möglichkeit bieten, Dinge, auch neue Dinge, auszuprobieren. Sie ähneln in diesem Sinne einem Flugsimulator.  Managementspiele  entsprechen  in  ihrer Strukturierung der operativen, strategischen oder normativen Ebene und den damit jeweils verbundenen spezifischen Aufgaben- und Problemstellungen.

Diese Spiele thematisieren auf der operativen Ebene entweder im Bereich der Produktion oder im Bereich der Verwaltung die Organisationsprozesse und Dispositionssysteme oder das Leistungs- und Kooperationsverhalten in Bezug auf konkrete Arbeitsaufträge. Die Mitarbeiter sind Produktionsmitarbeiter, Gruppenleiter, Meister oder angestellte Sachbearbeiter.

Auf der strategischen Ebene geht es dagegen um die Verbesserung des Problemverhaltens und des Problemlösens. Es geht um symbolisches Handeln in einer symbolischen Umgebung. Der Gegenstand sind strategische Fragen und Programme und deren Abbildung in Organisationsstrukturen und in Managementsystemen. Dies ist die Welt der Leitenden Angestellten, die damit befasst sind, die normativen Konzepte des Vorstands in strategische Programme umzusetzen.

Die normative Ebene umfasst alle Fragen der langfristigen Zukunftssicherung eines Unternehmens. Dies sind die Bereiche der Managementphilosophie, der Unternehmensverfassung, der Unternehmenspolitik und der Unternehmenskultur. In der Realität sind Vorstände und Aufsichtsräte mit diesen Fragen befasst. Der operativen Ebene des Managements entspricht die Gruppe der mechanistischen Spiele, bei denen der Ablauf der Produktions- und Arbeitsprozesse weitgehend vorgeschrieben ist. Die Gruppe der Brettplanspiele gehört hierzu. An der Schnittstelle zwischen der operativen und der strategischen Ebene lassen sich die Computerplanspiele einordnen. Die Gruppe der Free-Form-Games entspricht den Aufgabenstellungen im Bereich des strategischen und des normativen Managements.

Neben der Vermittlung rein fachlicher Aspekte lässt sich ein solches Managementplanspiel mit Aspekten der Führungspsychologie verbinden. Gegenstand sind dann nicht mehr nur betriebswirtschaftliche Inhalte, sondern das Führungsverhalten und das Verhalten im Team. Durch eine solche Ergänzung werden realistische Entscheidungssituationen mit all ihren sozialen Bezügen und Konsequenzen in einem Unternehmen abgebildet.

Die Teilnehmer eines offenen Free-Form-Game werden in eine weitgehend offene Problemlandschaft gestellt und der Spielleiter fragt: ,Welche Probleme erkennen Sie und was wollen Sie tun?‘ Diese Spiele haben Inhalte des strategischen bis normativen Managements zum Gegenstand.

Solche Spiele helfen, mit komplexen und mehrdeutigen Situationen im Bereich der strategischen und normativen Ebene des Managements umzugehen. Free-Form-Games benötigen als Bezugssystem lediglich ein Szenario. Der Computer spielt keine zentrale Rolle. Es existieren nur einige wenige formale Regeln, die den Ablauf des Seminarverlaufs betreffen. P-designer solcher Spiele gehen davon aus, dass die Teilnehmer über ein partielles Verständnis der dargestellten Sachverhalte verfügen und dass die unterschiedlichen Vorstellungen und Ideen der Teilnehmer zueinander in Konkurrenz treten werden. Die Regeln werden erst im Verlauf der Spiele von den Teilnehmern selbst entwickelt. Die Teilnehmer organisieren sich selbst. Über den gruppendynamischen Verlauf entwickelt sich eine tragfähige Interpretation des angebotenen Spielmaterials. Dabei konstruieren die Teilnehmer ihre eigene Managementkultur und sie rekonstruieren in der Spielsituation ihren eigenen Managementhintergrund und ihre Annahmen darüber, wie z. B. ein Unternehmen unter den im Szenario angegebenen Vorzeichen zu führen ist. Die Qualität dieser Spiele ist abhängig von dem Genauigkeitsgrad, mit dem sie die Realität des Managements widerspiegeln, denn erst dadurch wird die notwendige Akzeptanz bei den Spielern erreicht.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Managementplanspiele eine lange und erfolgreiche Tradition haben: P schlagen eine Brücke zwischen der trockenen Situation in einem Unterrichtsraum und der Praxis in der Realität. Sie vermitteln nicht nur fundiert Theorie, sondern stellen Handlungssituationen zur Verfügung, in der die Anwendungsmöglichkeiten von Wissen praktisch erkundet werden  können.

BBJ-Consult (Hg.): Berufsbildung und Arbeit als eine Aufgabe der Jugend-und Sozialhilfe (Planspiel ,Sanierung einer Obdachlosensiedlung‘). Berlin (o. J.); Graf, Jürgen: Simulierte Realitäten. Planspiele für den Chef von morgen. Bonn 1991; Gust, Mario: Planspiele in der beruflichen Bildung. Abriss zur Auswahl, Konzeptionierung und Anwendung von Planspielen. Mit einer Planspiel-CD-ROM  von  Ulrich Blötz. Bielefeld 2001; Magenheim-Hörmann, Thomas: Früh übt sich, wer ein hartgesottener Manager werden will. In: Frankfurter Rundschau, 13. 12.  2002.

MARIO GUST

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