Wörterbuch der Theaterpädagogik (erschienen 2003)

Musikspiele

Als M im weiteren Sinne lassen sich alle Spiele bezeichnen, die musikalische Elemente enthalten. In traditionellen Kinderspielen (Reigenspiele, Fangspiele usw.) sind häufig musikalische Elemente (Melodie, Rhythmus) enthalten (vgl. Peesch). Die Übergänge zwischen Kinderlied und Kinderspiel sind fließend.

M im engeren Sinne stellen eine seit den 1970er Jahren durch zahlreiche Veröffentlichungen belegte eigene Spielgattung dar, die tänzerische, instrumentale, stimmliche und darstellerische Aktionen umfasst. Sie geht einerseits zurück auf musik- und tanzpädagogische Ansätze der 1920er Jahre (Orff Schulwerk, vgl. Haselbach; Holzheuer), andererseits ist sie beeinflusst von der auditiven Wahrnehmungserziehung, einem heterogenen Feld unterschiedlicher musikpädagogischer Ansätze in den 1970er Jahren, denen es um die Einbeziehung neuer Musik, demokratisierte Formen des Musizierens und einen gegenüber akustischen Alltagsphänomenen geöffneten Musikbegriff geht (vgl. Meyer-Denkmann; Küntzel-Hansen). Ein weiterer Einfluss liegt in dem sozialpädagogischen Interesse an wettbewerbsfreien Spielen, in denen die Teilnehmer sich selbst in der Interaktion mit anderen und der Gruppe erfahren können (vgl. Wagner; Holthaus).

Eine Systematisierung der verschiedenen M-formen fällt schwer, da jeder Autor seiner eigenen Einteilung folgt. Häufig ist eine Orientierung an den verwendeten Materialien zu beobachten (Spiele mit der Stimme, Trommelspiele u. ä.) oder an den Tätigkeiten (Improvisationsspiele, Entspannungsspiele u.ä.) bzw. an einer Kombination aus Material und Tätigkeit (Tanzspiele mit Requisiten u.ä.). M lassen sich überdies auch allgemeinen spielpädagogischen Kategorien (Interaktionsspiele, Lernspiele usw.) zuordnen. Gelegentlich werden M zur Variierung der Spielidee offener Spielaktionen eingeführt und in ihrer Regelstruktur im Verlauf des Spiels von den Kindern selbst bestimmt (vgl. Wagner). Eine analytische Einteilung der M, die sich an spielpsychologischen Klassifizierungen von Piaget, Chateâu u.a. orientiert, gibt Rora.

Die meisten M-sammlungen sind auf einen sozialpädagogischen Rahmen bezogen und für die Gruppenarbeit in sozialpädagogischen Einrichtungen gedacht. Der Altersschwerpunkt liegt auf dem Vorschul- und frühen Grundschulalter. Nicht selten ist aber der Altersbezug sehr offen formuliert und reicht vom Vorschul- bis zum Erwachsenenalter (vgl. Friedemann; Holthaus). Die mit dem Einsatz von M verbundenen pädagogischen Ziele liegen in den Bereichen der Sinneserziehung, Konzentration, Kooperation, Darstellung und Ausdruck, Kreativität. M scheinen geeignet, um unabhängig von musikpädagogischen Zielen im engeren Sinne den Gruppenprozess zu beeinflussen und die Spieler für die Interaktion miteinander zu sensibilisieren.

Zugleich lassen sich mit den M allgemeine ästhetische Prinzipien thematisieren: Wahrnehmung und Gestaltung von Spannungsverläufen, von Kontrasten, von Variationsprinzipien; Ausdruck von Gefühlen und Stimmungen; Konvergenz und Divergenz gleichzeitiger Aktionen. Die spielerischen Gestaltungvorgänge weisen Analogien zu künstlerischen Produktionsprozessen auf.

Friedemann, Lilli: Trommeln – Tanzen – Tönen. 33 Spiele für Große und Kleine. In: Rote Reihe, 69. Wien 1983; Haselbach, Barbara: Orff Schulwerk. Elementare Musik- und Bewegungserziehung. In: Bannmüller, Eva/Abraham, Anke (Hg.): Grundlagen und Perspektiven ästhetischer und rhythmischer Bewegungserziehung. Stuttgart 1990; Holthaus, Klaus: Klangdörfer. Musikalische und soziale Vorgänge spielerisch erleben. Boppard u. a. 1993; Holzheuer, Rosmarie: Praxishilfen zur Musikund Bewegungserziehung für Kindergarten und Grundschule, H. 1: Sensibilisierung; H. 2: Gestaltung. Donauwörth 1980; Küntzel-Hansen, Margrit: Musikspiele. Seelze-Velber 1993; Meyer-Denkmann, Gertrud: Klangexperimente und Gestaltungsversuche im Kindesalter. In: Rote Reihe, 11. Wien 1970; Peesch, Reinhard: Das Berliner Kinderspiel. Berlin 1957; Rora, Constanze: Ästhetische Bildung im Musikalischen Gestaltungsspiel. Augsburg 2001; Wagner, Horst: Spielen mit Musik. Musikalische Spielaktionen für Kinder. Berlin u. a. 1992.

CONSTANZE RORA

Geschichte der Pädagogik – Geschichte der Sozialpädagogik – Geselligkeit – Gruppe – Improvisation – Interaktion – Kinderund Jugendtheater – Kulturelle Bildung – Mitspiel(theater) – Schulmusical – Sprechen – Sprecherziehung – Szenische Interpretation von Musiktheater – Tanzpädagogik – Theaterlied