Wörterbuch der Theaterpädagogik (erschienen 2003)

Festival der Amateur -und Schultheater

F bezeichnet eine regelmäßig wiederkehrende kulturelle Großveranstaltung. F haben ihren Ursprung in den antiken kultischen Festen zu Ehren des Gottes Dionysos. Die höfischen Feste des Barocks dienten mit ihren pompösen Großinszenierungen der Machtdemonstration des jeweiligen Herrschers. Dabei waren die Akteure des Adels gleichzeitig auch die Zuschauer. Aus dieser Disposition leitet sich eine wesentliche Grundidee des F ab. Sie geht einher mit einer Theatertheorie, die die Trennung zwischen Akteur und Zuschauer aufheben möchte. Für Antonin Artaud z. B. löst sich das Theater im Fest auf: Er kennt keinen Schauspieler und Zuschauer mehr, sondern nur noch den allseits präsenten Akteur.

Im Folgenden werden nur die Veranstaltungen berücksichtigt, die nach 1945 in Deutschland entstanden und die über den regionalen Rahmen hinaus für die Entwicklung des Amateur und Schultheaters bis heute von Bedeutung sind. Die Theaterwoche Korbach wurde bereits 1948 gegründet. Sie ist damit das älteste kontinuierlich veranstaltete F im Bereich des Schul- und Amateurtheaters im deutschsprachigen Raum. Die Theaterwoche versteht sich als Forum für alle Ausdrucksformen auf der Bühne. In der Kombination von Aufführung, Theaterwerkstatt und Diskussion wird eine Grundstruktur vorgegeben, die für viele vergleichbare F gilt.

Mit den Schultheaterwochen in Hamburg (1956) und den Bayrischen Schulspieltagen (1957) wurde eine Bewegung von Schultheaterfestivals in Deutschland eingeleitet. Ihre Zielsetzung war es, die kameradschaftliche Begegnung zu fördern, dem Erfahrungsaustausch zu dienen und die Leistungen auf dem Gebiet des Schultheaters an den Gymnasien sichtbar zu machen (vgl. Jeske u. a.). Ein Wettbewerb liegt der Braunschweiger Schultheaterwoche zugrunde. 1969 wurden die ,besten Laienspielgruppen‘ ausgewählt und als Preis erhielten die Theatergruppen die Gelegenheit, ihre Produktion im ,Kleinen Haus des Staatstheaters Braunschweig‘ aufzuführen.

Das erste SchülerTheaterTreffen auf Bundesebene (heute Theatertreffen der Jugend) wurde vom 15. bis 27. Mai 1980 im Rahmen des (professionellen) Berliner TheaterTreffens veranstaltet. Ausrichter sind die Berliner Festspiele im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Auch dem Theatertreffen der Jugend liegt der Wettbewerbsgedanke zugrunde: Eine Jury, die sich aus Theaterpädagogen, Theatermachern Festival der Amateur- und Schultheater und Kritikern zusammensetzt, wählt aus den bundesweiten Bewerbungen zehn beispielhafte Produktionen aus. Im Mittelpunkt des F stehen die Aufführungen der ausgewählten Gruppen. Darüber hinaus – so heißt es in der Ausschreibung zum 24. Theatertreffen der Jugend 2003 – bietet das Treffen ,die Möglichkeit zu gemeinsamer praktischer Theaterarbeit, zu kritischer Auseinandersetzung mit den Aufführungen und zu  Fachgesprächen‘.

Während das Theatertreffen der Jugend sich auch für außerschulische Jugendtheatergruppen geöffnet hat, versteht sich das Schultheater der Länder als das F der schulischen Theatergruppen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft für das Darstellende Spiel in der Schule e.V. und die jeweiligen Landesarbeitsgemeinschaften laden Schultheatergruppen aller Schulformen ein, die sich unter einem wechselnden Motto jährlich in einer anderen Stadt treffen. Neben der Begegnung und Diskussion wird als Ziel des F die Förderung und Entwicklung des Darstellenden Spiels als eigenständiges Unterrichtsfach genannt.

Die Göppinger Theatertage werden seit 1963 jährlich veranstaltet. Eingeladen werden Amateurtheatergruppen aus dem In- und Ausland. Kennzeichnend für das F ist die Präsentation vielfältiger Theaterformen von Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Senioren und die Vergabe eines Förderpreises an eine Gruppe für ihre kontinuierliche und innovative Theaterarbeit. Das jährliche Bundestreffen Jugendclubs des BuT ist ein Arbeitstreffen von Jugendlichen, die sich in Theater-Spielclubs an professionellen Theatern engagieren.

Während auf nationaler Ebene durch den Bund Deutscher Amateurtheater (BDAT) ein Deutsches Amateurtheaterfestival gegründet wurde (2000), das alle zwei Jahre besonders hervorragende Leistungen im Bereich des Amateurtheaters präsentiert, gibt es bislang kein vergleichbares Theatertreffen der Kinder auf Bundesebene.

F mit ausgeprägtem internationalen Charakter werden ebenfalls vom BDAT veranstaltet. Sowohl das Festival Europäischer Kulturen in Paderborn, als auch die Europäischen Amateurtheatertage in Rudolstadt erheben den ,Dialog zwischen den Kulturen‘ zum zentralen Thema ihrer Veranstaltungen. Im Bereich der internationalen Theaterarbeit mit Kindern kommt dem Welt-Kindertheater-Fest (WKT) eine besondere Bedeutung zu. Es wurde 1990 vom TPZ in Lingen ins Leben gerufen und findet seitdem alle zwei Jahre in der Zusammenarbeit mit dem weltweit agierenden Verband des Amateurtheaters (AITA/IATA) statt. Unter dem  Leitgedanken  ,Kinder  spielen  und  tanzen  für Kinder‘ werden zwischen 20 und 24 Kindertheatergruppen aus allen Kontinenten eingeladen. Integraler Bestandteil des WKT ist das Internationale Symposium, das die Teilnehmer zur interkulturellen Auseinandersetzung mit thp Methoden und Traditionen einlädt. Das WKT versteht sich als ein Fest der Begegnung der Kulturen und bietet mit seinem Programm die Möglichkeit, die Vielfalt als Erlebnis wahrzunehmen und die Andersartigkeit des kulturellen Verständnisses als Bereicherung zu erfahren.

Eine Besonderheit im internationalen Spektrum der Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen sind die jährlich veranstalteten Workshoptreffen der Europäischen Organisation EDERED (European Drama Encounters/ Recontres Europénnes de Drama). Jedes Jahr im Sommer treffen sich hier Kinder oder Jugendliche aus 18 bis 24 Ländern zu Theaterwerkstätten in einem jeweils anderen europäischen Land. Die von den Teilnehmern gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse werden am Ende der Veranstaltung öffentlich aufgeführt und zur Diskussion gestellt.

Des Weiteren existieren zahlreiche Genreoder Zielgruppen-spezifische F wie z. B. Das Fest der Sinne – ein Festival für behinderte und nicht behinderte junge Menschen, veranstaltet vom Europäischen Zentrum der IATA/AITA, das Senioren-Theater-Forum in Scheinfeld des BDAT oder das Internationale Fest der Puppen organisiert vom TPZ Lingen, ein F, das seit mehr als zwanzig Jahren die künstlerische Entwicklung des Figuren-, Masken- und Material-Theaters begleitet, sowie Scena – Theater und Religion (seit 1998) ein F der BAG Spiel und Theater, das die Verbindung zwischen Kirche und Theater zum zentralen Thema einer F-Reihe gemacht  hat.

In der Spiegelung der jeweiligen künstlerischen Zustände sind F heute ein Ort lebendiger Auseinandersetzung über die Qualitätsstandards im Schul- und Amateurtheater. In der ständigen Betrachtung und Reflexion der Arbeitsmethoden im Kontext der gezeigten Aufführungen wird ein Theorie-Praxis-Modell sichtbar, das sich für die ThP als sehr nützlich erweist, sofern der Wettbewerbsgedanke und der Leistungsvergleich zurücktritt zugunsten eines Modells, das die Begegnung und den fachlichen Austausch in den Mittelpunkt der Veranstaltung stellt. Als Orte der Begegnung und des Austauschs sind F so etwas wie ein Festmahl im thp Alltag, der sich in der Regel durch eine eher isolierte und individuelle Tätigkeit kennzeichnet.

Mit dem allseits präsenten Zuschauer, der als Spieler immer wieder in die Rolle des Betrachters wechselt, wird die Forderung von Artaud eingelöst, die Kluft zwischen Bühne und Zuschauer zu überwinden. Somit erweist sich das F als ein Theatermodell, das weit über die bloße Zusammenschau exemplarischer Aufführungen hinausgeht, indem es das gemeinsam erlebte Fest in den Mittelpunkt stellt. Fast alle hier genannten F kennzeichnen sich durch die Präsenz der Spielgruppen während der gesamten Veranstaltungszeit und der langen Verweildauer der Zuschauer während des F.

Zweifelhaft ist allerdings, ob die teils erheblichen Kosten für solche Ereignisse im Bereich des Schul- und Amateurtheaters angesichts der Defizite in den öffentlichen Haushalten in Zukunft noch aufgebracht werden können. Es ist zu befürchten, dass die dichten F-Strukturen und reiche F-Kultur in den nächsten Jahren abbrechen

Jeske, Marlis/Ruping, Bernd/Schöller, Eckard (Hg.): Geschichte(n) der Theaterpädagogik. Materialien zur 6. Bundestagung Theaterpädagogik in Lingen (Ems). Lingen 1992.

NORBERT RADERMACHER

Altentheater – Kulturelle Bildung – Soziokultur – Theaterarbeit aus Erfahrungen – Werkstatt