Wörterbuch der Theaterpädagogik (erschienen 2003)

Diskotheater

 

D verbindet, als Veranstaltung und Methode, die Schauplätze Diskothek und Theater. Unter dem Aspekt kultureller Jugendbildung ist D zunächst ein Weg, Proben und Aufführungen auch für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu öffnen, die sich für das Theater als bloße Kunstveranstaltung nicht interessieren. Unter künstlerischem und pädagogischem Aspekt ist D mehr als das (vgl. Hardt u. a. am Beispiel des Diskotheater Metropolis).

Disko und Theater sind öffentliche Orte. Beide sind außeralltäglich,  ritualisiert,  nicht  selten karnevalesk (vgl. Bachtin), aber sie gehorchen unterschiedlichen Regeln. Die Disko bezieht grundsätzlich alle Besucher in die Aktivität des Tanzes ein; das Theater trennt Darsteller und Publikum. Die Disko dezentriert Begegnungen, Rituale, Konflikte, Darstellungen und Aufmerksamkeiten, das Theater konzentriert sie auf das Bühnengeschehen.

Die Dramaturgie der Disko ist durch Stil, Dynamik und Ambiente von Musik und Raum geprägt, Regie führen die DJs (Diskjockeys). Sie arbeiten u. a. mit Unterbrechungen, Pausen und verbalen Einlagen. Hier setzt D an: In die Pause stellt es ein theatrales Arrangement. Vorbereitende Theatergruppe und DJ arbeiten dabei zusammen. Eine Szene, eine Improvisation, ein Spiel wird vorgeschlagen oder fängt – als  Unsichtbares  Theater  (vgl.  Boal)  oder  als Auftritt – einfach an. Darstellung und Publikum treten auseinander; D versucht, Energien und Aktivitätsniveau des Tanzes, die Lust an der Selbstinszenierung zu nutzen und das Publikum ins theatrale Spiel einzubeziehen. Bei manchen Jugendlichen gelingt dies für eine lange Zeit: Sie schließen sich der ‚erlebten‘ Theatergruppe an.

D ist, als Theaterexpedition ohne Reise, eingebettet in die gerichtete Suche der Theatergruppe nach Stoffen und Verbündeten im Zusammenhang ihrer laufenden Produktion. D ist wesentlich eine Methode des Austauschs: Besucher wechseln die Position von Publikum und AkteurIn, Darstellungsformen und Themen des Disko-Geschehens werden, im Sinne des ,dritten Theaters‘ (vgl. Barba), als Theater oder Stoff betrachtet, auf die Bühne oder in die Mitte gehoben und dort für die AkteurInnen zum Gegenstand spielerischer Bearbeitung, für das Publikum aber zum Gegenstand und ‚geeigneten Anlass‘ (vgl. Hentig) von Anschauung  und Reflexion.

So vollzieht D immer wieder ein Stück Gründungsgeschichte des Theaters unter zeitgenössischen Bedingungen: den Übergang vom Ritual zum Theater (vgl. Turner). Im besten Fall ist es ein Theater des Anfangs, und seine ausgearbeiteten Aufführungen bewahren dessen Zauber auf.

Bachtin, Michail: Rabelais und seine Welt. Volkskultur und Gegenkultur. Frankfurt a. M. 1987; Barba, Eugenio: Jenseits der schwimmenden Inseln. Reinbek 1985; Boal, Augusto: Theater der Unterdrückten. Übungen für Schauspieler und Nicht-Schauspieler. Frankfurt a. M. 1989; Hardt, Ulrich/ Kreutzer, Michael: Diskotheater Metropolis. Sonderprojekt am JugendKunst- und Kulturzentrum Schlesische 27 in Berlin-Kreuzberg. In: Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (Hg.): Kulturarbeit und Armut. Konzepte und Ideen für die kulturelle Bildung in sozialen Brennpunkten und mit benachteiligten jungen Menschen [Tagungsdokumentation].Remscheid 2000; Hentig, Hartmut von: Bildung. Ein Essay. Weinheim, Basel 1999; Turner, Victor: Vom Ritual zum Theater. Der Ernst des menschlichen Spiels. Frankfurt a. M. 1989.

ULRICH HARDT / FRANZ HÖDL /MICHAEL KREUTZER

Animation  –  Darstellende  Kommunikation  –  Erlebnispädagogik – Körpersprache – Kulturelle Bildung – Lernen und Theater – Medien / Medium – Schulmusical – Spaß – Zielgruppe