Amateurtheater (erschienen 2003)

Amateur (frz.) ist, wer eine Tätigkeit aus Liebhaberei und Freude am Spiel und nicht berufsmäßig ausübt. A meint als Sammelbegriff alle historischen und gegenwärtigen Formen des nichtprofessionellen Theaters; im engeren Sinne bezeichnet A das (vereinsmäßig) organisierte Theaterspiel mit Amateuren.

Mit der Gründung der ersten professionellen Theatergruppen im 16. Jh. trennt sich das A vom professionellen, d. h. berufsmäßig ausgeübten Theater. Historische Entwicklungslinien des heutigen A finden sich u. a. in den religiösen Spielen des Jesuitenordens im 17. Jh. und im höfischen Theater des Adels im 18. und 19. Jh. Am Ende des 18. Jhs. entstehen in Deutschland auf der Basis von Vereinen gegründete Theaterspielgemeinschaften. Bereits 1655 hat der Dramatische Verein Biberach am Riß als ,Bürgerliche Comödianten Gesellschaft‘ Theater gespielt. Er gilt als der älteste bekannte Verein seines Genres. In der Folge entwickelten sich innerhalb der städtisch-bürgerlichen Gesellschaft zahlreiche ,Liebhaberoder Privattheater‘. Die ,Privat-Theater-Gesellschaft Urania von 1792‘ aus Berlin ist die Wiege des verbandsmäßig organisierten deutschen A. Anlässlich des hundertjährigen Geburtstages der Urania wurde 1892 der ,Verband der Privat-Theater-Vereine Deutschlands‘ gegründet, aus dem später der ,Bund Deutscher Amateurtheater e. V. ‘ (BDAT) hervorgehen sollte (vgl. Nagel 19).

Die Geschichte des A ist auch eine Geschichte der Verordnungen und Verbote. Wurden die (vornehmlich) Lustspiele und Schwänke anfangs ausschließlich in privaten Wohnungen einstudiert und aufgeführt, so verlagerten sich die Aktivitäten später auch in Gastwirtschaften, Biergärten und Tanzlokale. Seit 1800 wurden durch die Polizeiaufsicht zahlreiche Einschränkungen des Spielbetriebs angeordnet. Die ,Dilettantenbühnen‘ mussten ihre Aufführungen zur Genehmigung vorlegen, damit ,Sittlichkeit und Ordnung‘ gewährleistet seien. Vielfach wurde ihnen bei Androhung einer Strafe das Aufführen untersagt. Auch das Verhältnis zwischen den Nationaltheatern (Berufsbühnen) und den Privat-Theatern gestaltete sich zu Beginn des 19. Jhs. zunehmend schwieriger. Grund für den Konflikt war die gewachsene Konkurrenz durch die Privattheater, zumal sie vermehrt junge Autoren und neue Stücke in ihr Repertoire aufgenommen hatten (z. B. August Kotzebue).

Sowohl der Generaldirektor des Berliner Nationaltheaters, August Wilhelm Iffland (1800), als auch der Generalintendant der Königlichen Schauspiele, Graf Karl Moritz von Brühl (1816), haben mit ihren Eingaben durchgesetzt, dass Spielerlaubnisse entzogen und Privat-Theater schließen mussten (vgl. Nagel 3ff.). Diese konkurrierende Situation zwischen den Stadt- und Staatstheatern einerseits und den A andererseits entwickelte sich fort bis in die 1930er Jahre. Die von der Not betroffenen und vor der Schließung stehenden Berufstheater sahen in den A-Vereinen lästige Mitbewerber, die mit allen Mitteln bekämpft werden sollten, z.B. das ,Wehleider Hoftheater‘, Kassel (ebd. 50).

Zu Beginn des 20. Jhs. entstand im Kontext der Reformpädagogik und der Jugendbewegung und in der Abgrenzung zum Berufs- und Vereinstheater die spezifische Form des Laienspiels. Zentrales Ziel des Laienspiels war die Entwicklung der musischen, gemeinschaftsfördernden und persönlichkeitsbildenden Kräfte im jungen Menschen, deren Verlust man nach dem 1. Weltkrieg beklagte (vgl. Luserke 44). Mit seinem ideologischen Sendungsbewusstsein hatte das Laienspiel auch einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung des proletarischen Laientheaters. In seiner teilweise völkisch-nationalen Ausrichtung und Wertevermittlung mündete das Laienspiel in Teilen in die Spielscharen der Nationalsozialisten (vgl. Märzhäuser 22f.).

Nach der Auflösung der Vereine und Verbände im Rahmen der Alliierten Rechtsvorschriften von 1945 gibt es zu Beginn der 1950er Jahre zahlreiche Reorganisationen und Neugründungen von Amateur- und Laienspielverbänden auf Landes- und Bundesebene.

So entstand auch im Osten Deutschlands eine Vielzahl von Laienbühnen, die nach Gründung der DDR zunehmend instrumentalisiert und reglementiert wurden. Die staatliche Jugendorganisation FDJ vereinnahmte die Jugend- und Studententheater, die Einheitsgewerkschaft FDGB betriebliche Laienspielgruppen. Ensembles, die sich staatlicher Kontrolle nicht unterwerfen wollten, wurden Repressalien ausgesetzt, die bis zum zeitweiligen Verbot oder zur zwangsweisen Auflösung von Gruppen reichten; Beispiele hierfür sind die Leipziger Spielgemeinde und die katholische Spielgruppe Die Brücke (vgl. Langhammer 35). Laienspielgruppen, die die Erwartungen der offiziellen Kulturpolitik erfüllten, konnte seit 1958 der Titel ,Arbeitertheater‘ verliehen werden. Analog dazu gab es ,Bauerntheater‘, ,Lehrertheater‘, ,Soldatentheater‘.  In  eine  Traditionslinie  zu  den Arbeitertheatern der 1920er/30er Jahre gestellt, sollten die Arbeitertheater der DDR die politisch und künstlerisch bestimmenden Kollektive des sozialistischen Laien- bzw. Amateurtheaters darstellen (vgl. HoffmannOstwald).

Um diesen Anspruch umzusetzen, wurde bereits Anfang der 1950er Jahre am Deutschen Theaterinstitut Weimar das Studienfach ,Laienkunst‘ eingerichtet, dessen Aufgaben nach der Schaffung des Ministeriums für Kultur im Januar 1954 vom ,Zentralhaus für Laienkunst‘ (später: ,Zentralhaus für Kulturarbeit‘) in Leipzig wahrgenommen wurden. Entsprechend den zentralistischen Machtstrukturen gab es Bezirks- und Kreiskabinette für Kulturarbeit, bei denen die Gruppen ihrer regionalen Bedeutung nach erfasst wurden. Der 1959 durch Walter Ulbricht verkündete ,Bitterfelder Weg‘ löste eine Welle der Gründung von Arbeitertheatern aus und führte zu einem anfangs produktiven Austausch zwischen Berufs- und Amateurtheatern. Ende der 1960er Jahre gab es etwa 130 Arbeitertheater, die sich um die Teilnahme an den vom FDGB veranstalteten ,Arbeiterfestspielen‘ bewarben – vergleichbare Treffen organisierte die FDJ für die Pionier- und Studententheater. Sowohl durch Losungen und Konzeptionen des Zentralvorstandes der Gewerkschaft zu diesem Großereignis als auch durch Preise und Auszeichnungen, wie den   Staatstitel ,Hervorragendes Volkskunstkollektiv‘, übte der Staat Einfluss auf die A aus. Künstlerisch weniger Wertvolles wurde bejubelt, wenn es ideologisch bzw. aktuell-politisch ins Konzept passte. Auch die nicht vom Staat kontrollierten kirchlichen Gruppen trafen sich zu sog. ,Laienspielwochen‘, die seit 1974 als ,Ökumenische Spielschartreffen‘ im Zweijahresrhythmus stattfanden.

Der 1965 eingeleitete harte Kurs in der Kulturpolitik, der ein verschärftes Misstrauen der Herrschenden gegenüber Kunst und Kultur offenbarte, wirkte sich auch auf die A-szene aus und reichte von verstärkter ideologischer Gängelung der Gruppen über administrative Eingriffe bei der Stückwahl – so wurde dem von Hella Len geleiteten Berliner Arbeitertheater in Folge des berüchtigten Kulturplenums der SED 1965 die bereits erteilte Genehmigung für die Inszenierung von Majakowskis Wanze wieder entzogen – bis hin zur Drohung mit polizeilichen Maßnahmen gegenüber der kirchlichen Gruppe Die Boten (1968). Wie wichtig die Machthaber die Amateurkunst nahmen, zeigt auch die Einsetzung von Verbindungsoffizieren des Staatssicherheitsdienstes an den Kreiskulturhäusern (vgl. Wischnewski 23). Das Berliner Haus für Kulturarbeit findet sich sogar in einer Liste von Stasi-,Sicherungsobjekte[n]‘ (vgl. Walther).

Das mit dem Machtantritt Erich Honeckers verbundene kulturpolitische Tauwetter ermöglichte in den 1970er Jahren eine größere Vielfalt der Amateurtheaterszene, die sich im Mut zu neuen Themen und Formen, größerer Experimentierfreude, einer deutlichen Verjüngung der Ensembles sowie in der Gründung von Gruppen außerhalb der sanktionierten Volkskunst zeigte. In den 1980er Jahren verstärkte sich diese Tendenz noch, wobei neben der Hinwendung zum komischen Genre eine große Sensibilität für gesellschaftskritische Themen auffällt. Wie das Berufstheater war auch das A Ersatz für fehlende Öffentlichkeit: ob Friedensoder Umweltfragen, Jugendkriminalität oder Fremdenfeindlichkeit – Themen, die auf der Straße lagen, aber offiziell nicht existierten, wurden auf den Bühnen verhandelt, nicht selten in Gestalt der Bearbeitung klassischer Stoffe. Während sich insbesondere die Arbeitertheater am Berufstheater und aktuell-politischen Vorgaben orientierten, streifte eine immer lebendiger werdende junge Szene beim Suchen nach der eigenen Identität die ideologischen Fesseln ab. Mit dem Ende der DDR verloren die meisten etablierten A nicht nur ihre materielle Existenzgrundlage, sie stürzten auch in eine tiefe Sinnkrise, aus der heraus nur wenige einen Neuanfang wagten.

Was vom DDR-A nachahmenswert bleibt, sind zweifellos seine privilegierte Stellung innerhalb der Gesellschaft und der hohe handwerkliche Standard vieler → Ensembles. Die Förderung von Amateuren – von ihren Betrieben großzügig dafür freigestellt – erreichte trotz politisch-ideologischer Überfrachtung ein hervorragendes Niveau. Nach einem eigens entwickelten Lehrplan bildeten qualifizierte Fachkräfte über zwei bis drei Jahre Amateurtheaterleiter mit staatlicher Anerkennung aus. Zentrale Werkstätten für Absolventen der ,Spezialschule für Leiter des künstlerischen Volksschaffens‘ schlossen sich an. Das Zentralhaus in Leipzig publizierte Lehrmaterialien, Stückekataloge und vergab zu günstigen Konditionen Aufführungsrechte, in deren Genuss allerdings nur offiziell registrierte Gruppen kamen. Dass sich dennoch immer wieder Ensembles Freiräume erstritten oder ihre Träger als Trojanisches Pferd benutzten, belegt das Beispiel des Berliner Hoftheater(s) Prenzlauer Berg (vgl. Wischnewski).

Die Arbeit mit Laien galt in Kreisen des DDRBerufstheaters keineswegs als anstößig. Seit→ Brecht und Friedrich Wolf suchten Theaterleute und Autoren immer wieder die Zusammenarbeit mit Amateurgruppen. Ende der 1950er bis Mitte der 1960er Jahre galten diese geradezu als „Avantgarde bei der Entdeckung neuer theatralischer Gegenstände“ (Tasche 7) und regten Dramatiker wie Heiner Müller zu einigen seiner frühen Stücke an. Im Spagat zwischen den ideologischen Leitlinien staatlicher Kulturpolitik, deren Kern die Gestaltung von Arbeiterhelden bildete, und dem professionellen Anspruch an eine realistische Darstellung entdeckten viele Theaterleute die persönlichkeitsbildenden Potenzen des A als Nische in einer nach dem ,sozialistischen Menschenbild‘ strebenden Gesellschaft.

Das A in Deutschland charakterisiert sich heute strukturell einerseits durch eine große Anzahl von Verbänden und Vereinen, andererseits durch eine Vielzahl von ungebundenen Institutionen und Einzelgruppen (laut Erhebung des BDAT gibt es zurzeit 6 000 bis 7 000 aktive Spielgruppen in der BRD). Der BDAT versteht sich als der öffentlich anerkannte Dachverband des deutschen A. Der Verband vertritt die Interessen seiner Mitglieder in allen Sparten der darstellenden Kunst. Ca. 1 800 Theatervereine haben sich über ihre jeweiligen Landesverbände und den Verband Deutscher Freilichtbühnen (VDF) dem BDAT angeschlossen. Die ,Bundesarbeitsgemeinschaft Spiel und Theater e. V.‘ (BAG) ist ein Zusammenschluss von Landesgemeinschaften, Bildungsstätten und Vereinigungen, die auf Bundesebene vorrangig in den Bereichen→ Spiel und Theater mit Kindern und Jugendlichen tätig sind. Mitgliedsorganisation der BAG ist u. a. auch die ,BAG für das Darstellende Spiel in der Schule‘. Der BDAT und die BAG haben sich zu einem ,Nationalen Zentrum des A‘ zusammengeschlossen. Sie vertreten gleichberechtigt das A der BRD auf der internationalen Ebene.

Der weltweite Dachverband des A ist die ,International Amateurtheatre Association‘ (IATA) mit der Geschäftsstelle in Tallin/Estland. Der Weltamateurtheaterverband hat Mitgliedsorganisationen (Nationale Zentren) in über 80 Ländern der Erde. Das Europäische Zentrum der IATA in Lingen (Ems) wurde mit dem Ziel gegründet, ein effektives Netzwerk des A in Europa aufzubauen.

Die Geschichte des deutschen A, seine künstlerischen, sozialen und gesellschaftlichen Wirkungen, sind weitgehend unerforscht.

Mit der enormen zahlenmäßigen Entwicklung des A in den vergangenen zwanzig Jahren geht eine qualitative Entwicklung einher. Spiel- und thp Verfahren und Methoden haben auf die theaterpraktische Arbeit der A-Gruppen erheblichen Einfluss genommen.

Der BDAT hat ein bundeseinheitliches Aus- und Fortbildungsprogramm für Spieler und Spielleiter entwickelt, das sich an den Richtlinien des Bundesverbandes Theaterpädagogik (BuT) orientiert.

Neben der traditionellen Orientierung am Volkstheater, Mundartoder regionalsprachlichem Theater hat sich das A in den vergangenen Jahren neue Inhalte und Zielgruppen erschlossen (Seniorenoder Altentheater, Theater mit behinderten Menschen, Theater mit Kindern und Jugendlichen,  Tanztheater).

Das A ist auf der Suche nach seinen spezifischen künstlerischen Ausdrucksformen und Inhalten (z.B. Community-Theatre, Ensemble-Spiel, Stadtteiltheater, lokalhistorisches Theater). Das A orientiert sich damit einerseits an den freizeitorientierten Bedürfnissen und Bedingungen, andererseits reagiert es verstärkt auf gesellschaftliche Fragestellungen und Herausforderungen. Das A entzieht sich damit auch einer einheitlichen qualitativen Bewertung. Innerhalb des ambitionierten A gestalten sich die Grenzen zwischen professioneller und freizeitorientierter Theaterarbeit fließend. Verschiedene A-gruppen arbeiten heute als semiprofessionelle oder freie Theatergruppen und verdienen sich so ihren Lebensunterhalt.

Die Bedeutung des A liegt neben seinem künstlerisch-ästhetischen Anspruch nicht unwesentlich in seiner sozialen Funktion. Durch die Bindung an bestimmte lokale Gegebenheiten, die Pflege der persönlichen Kontakte mit dem Publikum und der generationsübergreifenden Gruppenstruktur des A wird eine besondere Form der künstlerischen Arbeits- und Lebensgemeinschaft  gepflegt.

Detje, Robin: Castorf. Provokation aus Prinzip. Berlin 2002; Drenkow, Renate/Hoerning, Konrad (Hg.): Handbuch für Laientheater. Berlin 1968; Hoffmann-Ostwald, Daniel: Deutsches Arbeitertheater 1918–1933. Berlin 1972; Langhammer, Ruth: Wenn ich mich recht erinnere Aus 32 Jahren Arbeit in der Leipziger Spielgemeinde. Leipzig 1994; Luserke, Martin: Das Laienspiel. Heidelberg 1930; Märzhäuser, Herbert (Hg.): Unser Leben – Ein Spiel. Das Spiel – Unser Leben. Augsburg 1998; Moser, Günter: Das Volkstheater – Kultur in der Provinz. Frankfurt a. M. 1983; Nagel, Hans Günter: Die Zeittafel. Zur Geschichte des organisierten Deutschen Amateurtheaters. Hg. v. Bund Deutscher Amateurtheater (BDAT). Heidenheim 2001; Scheer, Udo: Vision und Wirklichkeit. Die Opposition in Jena in den siebziger und achtziger Jahren. Berlin 1999; Tasche, Elke: Amateurtheater – was ist das? Leipzig 1984; Walther, Joachim: Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit. Berlin 1996; Wischnewski, Torsten: Auseinandersetzung um öffentliche Förderung sozio-kultureller Projekte in Berlin Ost. Diplomarbeit an der Freien Universität. Berlin 1993.

NORBERT RADERMACHER / HANS-ALBRECHT WEBER

Arbeitertheater – Ausbildung – „Didaktisches Theater“ – Gruppe – Kinder- und Jugendtheater – Musisch-ästhetische Erziehung – Theaterarbeit in sozialen Feldern – Thingspiel – Volkstheater – Zimmertheater